Fallbeispiel

Syngenta-Kaffee von Farmen mit sklavereiähnlichen Arbeitsbedingungen

Eine Tochterfirma des Schweizer Agrarchemie-Konzerns Syngenta, die Nutrade Commercial Exportadora Ltd., und die dazugehörige Marke Nucoffee, haben wiederholt Kaffee von brasilianischen Farmen verkauft, auf welchen sklavereiähnliche Arbeitsbedingungen herrschten.

Ein Plantagen-Arbeiter pflückt Kaffeebohnen von einer Pflanze
Zahlreiche Arbeiter:innen wurden von Behörden aus sklavereiähnlichen Arbeitsbedingungen befreit. © Gerson Cifuentes

Brasilien ist der weltweit grösste Kaffeeproduzent und -exporteur. 46% der Kaffeebohnen aus Brasilien, werden im Bundesstaat Minas Gerais geerntet. Gemäss Schätzungen sind mehr als zwei Drittel der Arbeitskräfte auf den Kaffeefarmen in diesem Bundesstaat informell beschäftigt, wodurch sie keinen Anspruch auf einen Mindestlohn, Überstundenvergütungen oder Sozialleistungen haben. Immer wieder werden im brasilianischen Kaffeesektor Fälle von Zwangsarbeit und sklavereiähnlichen Zuständen aufgedeckt. 

Kaffeefarm im brasilianischen Minas Gerais © Repórter Brasil

Handel mit Kaffee aus Farmen mit sklavereiähnlichen Arbeitsbedingungen

Auch der Schweizer Agrochemie-Konzern Syngenta ist im Handel mit brasilianischem Kaffee aktiv.  Nutrade Comercial Exportadora Ltd. ist eine Tochterfirma der brasilianischen Syngenta Proteção de cultivos LTDA, die wiederum zu 100% der Syngenta AG mit Sitz in Basel gehört. Nutrade hat den Sitz im brasilianischen Sao Paolo und betreibt Gross- und Einzelhandel mit Nahrungsmitteln wie Getreide und Kaffee und mit Saatgut wie Mais, Weizen, Hafer, Gerste, Reis, trockene Bohnen und Soja.

Zudem ist Syngenta im Besitz der Marke Nucoffee mit Sitz in Sao Paolo. Nucoffee fungiert als Drehscheibe zwischen lokalen Kaffee-Produzent:innen und internationalen Käufer:innen und fokussiert sich dabei auf sogenannten «speciality coffee», also hochwertigen Spezialitätenkaffee. Dafür bezieht Nucoffee Kaffeebohnen von rund 4’000 Farmen und beliefert internationale Abnehmer:innen, wie die Schweizer Kaffeehändlerin Sucafina, die ihren Sitz in Genf hat. Dieser Kaffee wird über Nutrade exportiert.

Eine Recherche der Koalition für Konzernverantwortung in Zusammenarbeit mit dem Recherchekollektiv WAV zeigt nun sechs Fälle von Arbeitsausbeutung und Zwangsarbeit in Brasilien, die mit Syngentas Tochtergesellschaft Nutrade beziehungsweise der Marke Nucoffee in Verbindung stehen. Auf sechs Kaffeefarmen im Bundesstaat Minas Gerais wurden zwischen 2018 und 2022 Arbeiter:innen von den brasilianischen Behörden aus sklavereiähnlichen Arbeitsbedingungen befreit. Die Arbeiter:innen hatten zum Teil keinen Arbeitsvertrag, waren unterbezahlt oder erhielten ihren Lohn nicht regelmässig. Sie waren oft unter prekärsten Bedingungen untergebracht und hatten weder Zugang zu Trinkwasser noch zu Toiletten. Zum Teil fanden die Behörden auch minderjährige Arbeitskräfte vor. Gemäss verschiedenen Quellen bezog Nutrade beziehungsweise Nucoffee Kaffee von diesen Farmen. 

Wie Handelsdaten von Nutrade zeigen, hat die Syngenta-Tochterfirma unter anderem den Genfer Konzern Sucafina – einer der grössten Kaffeehändler weltweit – mit Kaffee beliefert. Sucafina bezog, auch nachdem Arbeiter:innen auf Zulieferfarmen von Nutrade aus sklavereiähnlichen Arbeitsbedingungen gerettet worden waren, noch weiterhin Kaffee von Nutrade.

Ein Drittel der Arbeitskräfte auf den Kaffeefarmen in Minas Gerais sind informell beschäftigt. © Repórter Brasil




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Sechs Farmen mit sklavereiähnlichen Arbeitsbedingungen, von denen Nutrade Kaffee kaufte

Grafik mit einer Südamerika-Karte sowie einer Karte des brasilianischen Bundesstaats Minas Gerais mit 6 Kaffeefarmen eingezeichnet

Für mehr Informationen zu den Fällen, klicken Sie nachfolgend auf die einzelnen Farmen: 

Farm Corredo Alto Cobrador (Conceiçao de Ipanema)

Der Besitzer der Kaffeefarm Corredego Alto Cobrador, Joair Aparecido de Oliveira, wurde 2018 von den brasilianischen Behörden zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er drei Arbeiter:innen auf seiner Farm unter sklavereiähnlichen Bedingungen arbeiten liess. Die Arbeiter:innen hatten keinen Zugang zu Trinkwasser, schliefen auf Matratzen auf dem Boden einer Hütte, verfügten weder über eine Schutzausrüstung noch über einen Arbeitsvertrag und waren deutlich unterbezahlt (umgerechnet rund 2.50 CHF pro Sack (rund 60 kg) geernteten Kaffee). Oliveira war zu diesem Zeitpunkt ein mit dem Qualitätssiegel von Nucoffee zertifizierter Kaffeeproduzent.

Verkaufsdaten von Nucoffee zeigen, dass mindestens 25 Säcke der Ernte von Oliveira 2016/2017 über Nucoffee gehandelt wurden.


Farm Alvorada do Canto Galo (Campos Altos) 

Gemäss Berichten der Thomson Reuters Foundation und Repórter Brasil wurden im August 2019 bei einer Arbeitsmarktkontrolle auf der Alvorada do Canta Galo Farm, die Jose Maria Domingos da Silva gehört, 51 Arbeiter:innen, darunter drei Minderjährige im Alter von 13, 14 und 17 Jahren, aus sklavereiähnlichen Bedingungen befreit. Die Arbeiter:innen verfügten weder über einen Arbeitsvertrag noch über gesetzlich vorgegebene Sicherheitsausrüstungen, waren deutlich unterbezahlt, hatten keinen Zugang zu Toiletten und erhielten weder Lebensmittel noch Wasser.

Gemäss Repórter Brasil hatte Domingos 2019 und 2020 mit Nutrade gehandelt, also auch nach der Inspektion auf der Canta Galo Farm, bei welcher sklavereiähnliche Bedingungen festgestellt wurden. Nucoffee sagte gegenüber Reuters, dass sie die Zusammenarbeit erst einstellen würden, sollte Domingos auf die lista suja («schmutzige Liste») des brasilianischen Arbeitsministeriums gesetzt werden. Das kann aber Jahre dauern. Domingos figuriert bis heute nicht auf der Liste.



Farm Floresta (Heliodora)

Auf der Farm Fazenda Floresta des Kaffeeproduzenten Guilherme Sodré Alckmin Júnior wurden 2021 20 Arbeiter:innen aus einer Zwangsarbeitssituation befreit. Sie waren unterbezahlt und die Ausgaben für Schutzausrüstung, Lebensmittel, Arbeitsgeräte und Benzin wurden ihnen zusätzlich vom Lohn abgezogen. Gemäss Recherchen von Repórter Brasil hat Alckmin in den Jahren 2020 und 2021 seine Kaffeebohnen über die Firma Nutrade exportiert. Seit April 2023 figuriert Alckmin und seine Farm Floresta auf der lista suja.

Farm Laranjeiras (Ilicínea) 

Auf der Farm Laranjeiras wurden am 12. Juli 2021 24 Arbeitskräfte, darunter ein sechzehnjähriges Mädchen, aus einer Zwangsarbeitssituation befreit. Die Arbeiter:innen hatten während der Arbeit keinen Zugang zu Toiletten und waren in sehr prekären Unterkünften untergebracht. Der Besitzer der Farm, Job Carvalho de Brito Filho wurde wegen Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung von Arbeitskräften angeklagt. Zum besagten Zeitpunkt betrieb Carvalho schon länger Handel mit Nutrade.


Farm Haras July (São Sebastião do Paraíso)

Am 27. August 2021 wurde Luiz Sérgio Marques, der Besitzer der Farm Haras July, wegen Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung von Arbeitskräften zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er sieben Arbeiter:innen unter sklavereiähnlichen Bedingungen arbeiten liess. Die Arbeiter:innen waren unter sehr prekären Bedingungen in einer stillgelegten Brennerei untergebracht worden, wurden ohne Schutzvorkehrungen auf der Ladefläche eines Lastwagens zu den Kaffeefeldern transportiert und hatten weder Zugang zu einer Toilette noch einen Ort, um ihre Mahlzeiten einzunehmen. Seit April 2023 figuriert Marques auf der lista suja.

Gemäss Repórter Brasil handelte Nutrade mit Kaffee von Marques.

Farm Olhos D’Agua (Campos Altos, Minas Gerais)

Marcelo Assis Nogueira wurde im Herbst 2022 vom Ministerium für Arbeit und soziale Sicherheit angezeigt, weil er zwischen dem 13. Juli und 4. August 2022 zwanzig Personen unter sklavereiähnlichen Bedingungen auf seiner Kaffeefarm Olhos D’Agua beschäftigt haben soll. Drei der Arbeiter:innen waren unter achtzehn Jahre alt, darunter ein fünfzehnjähriges Mädchen. Die Arbeiter:innen hatten keinen Arbeitsvertrag, erhielten ihren Lohn nicht regelmässig, nahmen ihre Mahlzeiten auf dem Boden ein, verrichteten ihre Notdurft im Busch, mussten ihre eigenen Schutzausrüstungen kaufen und hatten keinen Zugang zu Trinkwasser. Nogueira wurde zu einer Geldstrafe verurteilt.

Gemäss Réporter Brasil wurde der Kaffee der Olhos D’Agua Farm über die Plattform von Nucoffee vermarktet und von Nutrade exportiert.


Eine Hütte auf einer Kaffeefarm im brasilianischen Minas Gerais, in der die ArbeiterInnen unter sehr prekären Zuständen leben müssen.
Die Arbeiter:innen auf den Kaffeefarmen müssen teilweise unter sehr prekären Umständen leben. © Repórter Brasil

Die Dunkelziffer ist hoch

Leider verschliessen viele Agrarrohstoffhändler wie die Syngenta-Tochter Nutrade die Augen vor den massiven Problemen auf den Kaffeeplantagen. Um das Zwangsarbeitsproblem zu bekämpfen, führen die brasilianischen Behörden Kontrollen durch und publizieren seit 2003 halbjährlich in einem Register, der sogenannten lista suja, («schmutzige Liste»), die Namen der Arbeitgeber:innen, die «Arbeitskräfte unter sklavereiähnlichen Bedingungen beschäftigt haben». Der Kaffeeanbau ist regelmässig der Sektor, in welchem die höchste Anzahl Personen aus solchen Bedingungen befreit werden.

Von den detaillierten sechs Fällen, die mit Syngenta in Verbindung stehen, landeten aber bisher nur drei Namen auf der lista suja – viele erst Jahre nach den VorfällenDenn bevor Arbeitgeber:innen in das Register eingetragen werden, legen viele Einsprache ein. Da das Arbeitsministerium das entsprechende Gerichtsurteil abwarten muss, bevor es einen Namen auf die Liste setzen kann, kann sich der Prozess über mehrere Jahre hinziehen. Eine neue Studie legt darüber hinaus nahe, dass eine Aufnahme auf der Liste weniger wahrscheinlich ist, wenn Personen gute politische Verbindungen haben und/oder grosszügige Wahlkampfspender:innen sind.

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Man geht davon aus, dass die Dunkelziffer riesig ist und es noch auf viel mehr Plantagen zu Problemen kommt, als je bekannt wird: Denn das brasilianische Arbeitsinspektorat, welches die Kontrollen auf den Plantagen durchführt, ist notorisch unterbesetzt und unterfinanziert. Unter dem ehemaligen Präsidenten Jair Bolsonaro wurden die behördlichen Kontrollen durch Haushaltskürzungen weiter erschwert.

Die Syngenta-Tochterfirma Nutrade stellt sich auf den Standpunkt, dass sie sich nicht um die Probleme kümmern muss, bis eine Farm auf der lista suja aufgeführt wird. Dabei wäre es in der Verantwortung von Syngenta, proaktiv hinzuschauen und Massnahmen zu ergreifen, um sklavereiähnliche Arbeitsbedingungen zu verhindern.



Deshalb braucht es ein Schweizer Konzernverantwortungsgesetz

Das Beispiel zeigt einmal mehr, wieso es auch in der Schweiz ein griffiges Konzernverantwortungsgesetz braucht, wie es zurzeit auf EU-Ebene eingeführt wird. Syngenta kann heute ohne Konsequenzen Kaffee aus Zwangsarbeit verkaufen und muss nicht einmal dann reagieren, wenn auf den Plantagen Menschen von den brasilianischen Behörden aus sklavereiähnlichen Arbeitsbedingungen befreit werden. Mit einem Konzernverantwortungsgesetz müsste Syngenta dafür geradestehen, wenn der Konzern weiterhin mit Kaffee aus sklavereiähnlichen Arbeitsbedingungen handelt.

Mehr Informationen:

Kaffee-Report MONITOR 2021 von Repórter Brasil (auf Englisch)

Repórter Brasil Artikel: «Multinational coffee companies ignore accusations and continue buying from suppliers linked to farms with slave labour» vom 5.12.22 (auf Englisch)

Reuters Artikel «Picked by Slaves» vom 12.12.2019 (auf Englisch)

Studie zur «Lista Suja», Universität Standford, 22. Mai 2022 (auf Englisch)

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