Fallbeispiel

MSC lässt alte Schiffe unter katastrophalen Umständen verschrotten

An drei Stränden in Indien, Bangladesch und Pakistan werden alte Schiffe direkt am Strand mit brachialen Methoden abgewrackt. Die Arbeit ist lebensgefährlich und führt zu massiver Umweltverschmutzung. Giftige Chemikalien und Schwermetalle gelangen direkt ins Meer. Auch der Genfer Reedereikonzern MSC lässt bis heute seine alten Schiffe hier verschrotten, obwohl er dafür schon seit Jahren kritisiert wird.

Die Mediterranean Shipping Company – kurz MSC – ist das grösste Containerschiffunternehmen der Welt. Auch im Bereich der Kreuzfahrten gehört MSC zu den weltweit grössten Anbietern. Der Jahresumsatz der MSC-Gruppe wurde von Medien 2017 noch auf rund 25 Milliarden Schweizer Franken geschätzt, in den letzten Jahren dürfte er aufgrund der Corona-Pandemie nochmal gestiegen sein. Genaue Zahlen werden von MSC aber nicht veröffentlicht. 

Die Problematik des Abwrackens 

Wenn Frachtschiffe aufgrund ihres Alters nach 30 bis 40 Jahren nicht mehr genutzt werden können, müssen sie auseinandergebaut werden. Dies wird von sogenannten Abwrackwerften gemacht, die viel wiederverwertbares Material aus den alten Schiffen gewinnen, das wichtigste davon ist Stahl. Aber da die Schiffe oft über Jahre giftige und für die Umwelt belastende Stoffe wie Erdöl transportierten und gleichzeitig auch aus diversen gesundheitsschädigenden Materialien gebaut sind, müssten sie eigentlich unter allergrössten Sicherheitsvorkehrungen auseinandergebaut werden.

An den drei grossen Abwrackstränden Alang (Indien), Gadani (Pakistan) und Chittagong (Bangladesch) ist leider das Gegenteil der Fall: Die Bedingungen sind katastrophal, Sicherheitsvorkehrungen praktisch inexistent.

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Gemäss Daten der «NGO Shipbreaking Platform», einer internationalen Koalition bestehend aus Umwelt-, Menschenrechts- und Arbeitsrechtsorganisationen, sind seit 2009 über 7’000 Fracht- und Passagierschiffe sowie Bohrinseln mit der sogenannten «Beaching-Methode» an diesen drei Stränden abgewrackt worden. Dabei ist es insgesamt zu mindestens 430 Todesfällen und über 350 schweren Verletzungen gekommen. Die Arbeiter auf den Abwrackwerften wracken die Frachtschiffe unter grösster Lebensgefahr direkt am Strand von Hand ab: Immer wieder kommt es zu Abstürzen, Explosionen und Bränden, Menschen werden unter herabfallenden Schiffsteilen begraben oder ersticken im Schiffsinnern.

© NGO Shipbreaking Platform

Hochgiftige Materialien

In den Schiffen ist sehr häufig noch Asbest enthalten. Die Asbest-Fasern können sich im Körper unbemerkt festsetzen und auch Jahrzehnte später zu Lungenkrebs oder einem Mesotheliom führen. Die Arbeiter sind zudem ständig hochgiftigen Chemikalien und Gasen sowie Schwermetallen wie Blei, Quecksilber, Arsen oder Cadmium ausgesetzt. Nur selten haben sie Zugang zu angemessener Schutzausrüstung und die medizinische Versorgung vor Ort ist prekär. Für die ILO gehört die Arbeit auf den Abwrackwerften deshalb zu «einem der gefährlichsten Jobs der Welt». Hinzu kommen miserable Rahmenbedingungen: Lange Arbeitszeiten, keine Wochenenden, keine Ferien, keine Versicherung. In Chittagong gibt es zudem Fälle von Kinderarbeit. 

Umweltverschmutzung

Zusätzlich führt das Abwracken direkt am Strand zu einer massiven Vergiftung der Umwelt. So fahren die Schiffe in den meisten Fällen noch selber zu den Abwrackstränden und haben deshalb noch Schmieröl in den Maschinen und Schweröl in den Tanks, das auslaufen kann. Die Bausubstanz von älteren Schiffen enthält auch an sich sehr viele gefährliche Stoffe, wie zum Beispiel Asbest, Schwermetalle oder Ozon-abbauende Stoffe in der Isolation. Hinzu kommen giftige und explosive Überreste von ehemaligen Ladungen und sogar radioaktive Materialien. Durch das Abwracken am Strand können solche hochgiftigen Chemikalien und Schwermetalle von der Flut direkt ins offene Meer getragen werden. Die Verschmutzungen durch Ölreste sind teilweise so gravierend, dass sie sogar auf Satellitenbildern erkennbar sind. Zuletzt etwa auf einem Bild vom 12. April 2023, welches SRF Investigativ entdeckte.

MSC lässt seine Schiffe im umweltschädlichen «Beaching»-Verfahren abwracken

Gemäss der Shipbreaking Platform soll MSC seit 2013 über 90 Schiffe in Indien abgewrackt haben. Dem Konzern scheinen die Probleme vor Ort bekannt zu sein und er möchte nicht mit den katastrophalen Zuständen an den beiden Stränden in Verbindung gebracht werden: So versuchte er die dortige Verschrottung der eigenen Schiffe zu verschleiern, indem beispielsweise die MSC Georgia mit übermaltem Logo oder die MSC Mirella unter anderem Namen in Alang abgewrackt wurden. Die MSC Ronit wurde in Chittagong abgewrackt, wie das Schweizer Fernsehen SRF 2019 aufgedeckt hat. Und 2009 kamen beim Abwracken der MSC Jessica in Alang bei einem Brand sechs Arbeiter ums Leben. In ihrer neusten Recherche rekonstruiert SRF Investigativ die letzte Reise der MSC Floriana an die Abwrackwerft in Alang: Im Januar 2023 verlässt die MSC Floriana den Hafen von Barcelona. Einen Monat später befindet sich das Schiff mit übermaltem MSC-Logo am Strand von Alang.

Vor dem Abwracken wechseln die Schiffe häufig den Besitzer und gehen an Schrotthändler, die die Schiffe teilweise bar ankaufen und zu den Abwrackwerften bringen. Die Barankäufer ändern die Flaggen der Schiffe in typische «Last Voyage»-Billigflaggen und registrieren die Schiffe unter neuen Namen und Briefkastenfirmen, die sich häufig in einem Steuerparadies mit mangelhafter Umsetzung des internationalen Seerechts befinden – zum Beispiel den Komoren, Palau oder St. Kitts und Nevis. Für den Genfer Containerschiffkonzern MSC ist der Verkauf der alten Schiffe an dubiose Abwrackwerften ein lukratives Geschäft. Gemäss Branchenkennern erhalten Reedereien für ihre alten Schiffe in Indien doppelt so viel wie bei einer europäischen Abwrackwerft. MSC dürfte bereits über 100 Millionen US-Dollar an der problematischen Abwrack-Strategie verdient haben.

© NGO Shipbreaking Platform

Quelle der Grafik: Sonntagszeitung vom 16.10.2022

Massive Klimaschäden

Neben den Schäden für Mensch und Umwelt beim Abwracken verursacht der Reedereikonzern MSC aber noch weitere Probleme. Denn Container- und Kreuzfahrtschiffe werden mit Schweröl betrieben und sind deshalb enorm klimaschädlich. Der Konzern schreibt zwar, er betreibe eine «moderne und grüne Flotte». Trotzdem haben die CO2-Emissionen des Konzerns allein zwischen 2020 und 2021 um über 13 Prozent zugenommen. Gemäss der Sonntagszeitung beträgt der CO2-Ausstoss des Konzerns damit fast so viel wie jener der gesamten Schweiz (siehe Grafik).

Im Sommer 2023 hat MSC ihr neuestes Kreuzfahrtschiff – die MSC Euribia – vorgestellt, die mit flüssigem Erdgas betrieben wird. Der Konzern behauptet, dass dadurch die Umwelt weniger verschmutzt werde, da 20% weniger CO2 ausgestossen werde. Die NGO «European Federation for Transport and Environment» entlarvt diese Aussage als Greenwashing: Da beim gesamten Beschaffungsprozess von flüssigem Erdgas das enorm klimaschädliche Gas Methan entweicht, haben Schiffe, die mit flüssigem Erdgas betrieben werden eine noch schlechtere Klimabilanz als jene, die mit Diesel betrieben werden.

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Schweizer Regulierung fehlt

Die EU hat 2019 die sogenannte Schiffsrecycling-Verordnung in Kraft gesetzt. Diese besagt, dass das Abwracken von Schiffen, die eine EU-Flagge führen nur noch auf zertifizierten und gelisteten Abwrackwerften nach einem zertifizierten Verfahren erfolgen darf. Damit ist das Abwracken auf den Werften in Südasien für Schiffe unter EU-Flagge verboten. Zusätzlich verbietet die europäische Abfall-Verbringungs-Verordnung auch den Export von Schiffen, die verschrottet werden sollen, aus EU-Gewässern in ein Nicht-OECD-Land, wie z.B. Indien.

SRF Investigativ hat nun aufgezeigt, wie MSC auch diese Regelung umgeht: Der Genfer Konzern behauptet einfach, die Entscheidung für das Abwracken der MSC Floriana sei erst gefällt worden, als das Schiff schon ausserhalb von EU-Gewässern unterwegs war und nicht bereits bei dessen Abfahrt in Barcelona.

Das Beispiel zeigt einmal mehr, dass es dringend auch in der Schweiz ein griffiges Konzernverantwortungsgesetz braucht! Nur so kann sichergestellt werden, dass Konzerne wie MSC beim Abwracken ihrer Schiffe keine Menschenrechte verletzen und die Umwelt nicht vergiften.

Fischer arbeitet an einem Fischernetz, während er auf ein Kreuzfahrtschiff schaut, dass bald abgewrackt werden soll.
© Studio Fasching – Courtesy of NGO Shipbreaking Platform

Mehr Informationen:

Video-Beitrag der NZZ vom 7.2.2022

NGO Shipbreaking Platform

Recherche Public Eye – Wo Schiffe sich zum Sterben verstecken vom Januar 2019

Buch von Mark Pieth und Kathrin Betz: «Seefahrtsnation Schweiz – Vom Flaggenzwerg zum Reedereiriesen» von 2022

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