Fallbeispiel

Der Genfer Konzern Louis Dreyfus handelt mit hochproblematischem Zucker

Auf den Zuckerrohrplantagen im indischen Bundesstaat Maharashtra herrschen zwangsarbeitsähnliche Arbeitsbedingungen. Viele Frauen werden dazu gedrängt, sich die Gebärmutter entfernen zu lassen, um die harte körperliche Arbeit ohne Pause erledigen zu können. Gross im Business mit diesem Zucker ist der Genfer Rohstoffhändler Louis Dreyfus.

Louis Dreyfus Company (LDC) ist einer der grössten Agrar- und Rohstoffhandelskonzerne. © Louis Dreyfus Company

Indien ist der weltweit zweitwichtigste Zuckerproduzent, etwa ein Drittel der indischen Zuckerproduktion stammt aus dem südwestlich gelegenen Bundesstaat Maharashtra. Hier wird auf rund 700’000 Hektar Land Zuckerrohr angebaut, 1,6 Millionen Arbeiter:innen arbeiten auf den Plantagen.

Seit vielen Jahren ist bekannt, dass auf den Zuckerrohr-Plantagen in Maharashtra schwere Menschenrechtsverletzungen wie Zwangsarbeit, Gebärmutter-Entfernungen und Kinderarbeit zur Tagesordnung gehören.

Im Bundesstaat Maharashtra sind Wanderarbeiter auf Zuckerrohrplantagen in Schuldknechtschaft gefangen. © Max5128

Zwangsarbeit und Schuldknechtschaft

Ein grosser Missstand ist die Art, wie die Arbeiter:innen auf den Zuckerrohrplantagen im Bundesstaat Maharashtra angestellt und bezahlt werden. Während die Arbeiter:innen in anderen Regionen in Indien direkt von den Plantagenbesitzern angestellt werden und einen regulären Lohn erhalten, basiert das System in Maharashtra auf der Schuldknechtschaft: Die Arbeiter:innen, häufig Wanderarbeiter:innen, werden nicht direkt von den Besitzern der Plantagen sondern von Subunternehmen angestellt, die ihnen statt regelmässigen Löhnen zu Beginn der Erntesaison einen Vorschuss bezahlen. Diese Vorschüsse funktionieren wie Darlehen, die dann durch Arbeit zurückgezahlt werden müssen. Da diese Vorschüsse aber nirgends festgehalten werden, wird den Arbeiter:innen am Ende der Erntesaison mitgeteilt, dass sie nach wie vor verschuldet sind. Die Arbeiter:innen werden so gezwungen, jede Erntesaison wieder zurückzukehren. Gemäss Angaben der Arbeiter:innen erhalten sie etwa 5 US-Dollar pro Tag. Arbeitnehmerrechtsorganisationen und die Arbeitsagentur der Vereinten Nationen (ILO) haben solche Vereinbarungen als Zwangsarbeit bezeichnet.

Dazu kommen weitere Probleme: Die Arbeiter:innen haben oft keinen Zugang zu fliessendem Wasser, keine Toiletten und schlafen meist auf dem Boden. Die Arbeit ist körperlich zudem extrem hart: Die Arbeiter:innen verbringen praktisch den ganzen Tag in gebückter Haltung. Beim Abreissen der Blätter vom Zuckerrohr kommt es zudem oft zu Verletzungen, da die Blätter scharf sind. Mit der Zeit haben viele Arbeiter:innen auch Schäden an Bandscheiben und Nacken, da sie die schweren Zuckerrohrbündel auf dem Kopf tragen, um sie auf Lastwagen zu laden.

Männer und Frauen tragen schwere geerntete Bündel Zuckerrohrstängel auf dem Kopf. Karnataka, Indien. © Klodien


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Hysterektomien

Gemäss Recherchen der New York Times werden die Arbeiterinnen im Bundesstaat Maharashtra teilweise von den Subunternehmen regelrecht dazu gedrängt, sich die Gebärmutter entfernen zu lassen (sog. Hysterektomien). Dies zur «Behandlung» von starken und schmerzhaften Regelblutungen. So können sie ohne Pause weiterarbeiten und müssen weniger häufig zu gynäkologischen Untersuchungen.

Dieses Problem ist auf den Zuckerrohrplantagen im Bundesstaat weit verbreitet: Gemäss einem Bericht der örtlichen Regierung, für den etwa 82’000 Zuckerrohrarbeiterinnen aus Maharashtra befragt wurden, hatte etwa jede fünfte Arbeiterin ihre Gebärmutter entfernt. In einer anderen, kleineren Umfrage der Regierung wurde die Zahl auf jede Dritte geschätzt.

Junges Mädchen, bei der Arbeit auf einem Zuckerrohrfeld. © Amit Pasrich

Weitverbreitete Kinderarbeit

Auch Kinderarbeit ist ein weitverbreitetes Problem auf den Zuckerrohrplantagen in Maharashtra, was sowohl Recherchen der New York Times vor Ort als auch ein Bericht im Auftrag von Coca-Cola zeigten. Die Nichtregierungsorganisation Oxfam schätzt die Zahl der Kinder, die unter 14 Jahren sind und auf den Plantagen arbeiten, auf rund 200’000.

Gemäss verschiedenen Berichten kommt es im Bundesstaat aufgrund des ausbeuterischen Zuckeranbaus zudem immer wieder zu Kinderheiraten, obwohl diese in Indien illegal sind. Denn je länger Kinder ihre Eltern auf dem Feld begleiten, desto länger müssen die Eltern sie unterstützen. Daher versuchen Familien oft, ihre Töchter jung zu verheiraten, sogar im frühen Jugendalter. Und auch die Subunternehmer setzen Eltern gemäss Berichten unter Druck, damit diese ihre Töchter verheiraten und leihen den Eltern oft sogar noch das Geld für die Hochzeit, was dann die Verschuldung weiter erhöht.

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Der Genfer Konzern Louis Dreyfus ist gross ins Business verwickelt

Doch obwohl all diese Probleme seit Jahren dokumentiert und auch in der Branche bestens bekannt sind, zeigt unsere Recherche in Zusammenarbeit mit dem Recherchekollektiv WAV, dass der Genfer Rohstoffhandelskonzern Louis Dreyfus Company (LDC) stark in den Handel mit dem problematischen Zucker verwickelt ist.

Infos zur Louis Dreyfus Company (LDC)

Die Louis Dreyfus Company (LDC) ist ein Mischkonzern. Der Konzern hat seinen Hauptsitz zwar in Rotterdam, die Handelsabteilung in Genf ist aber die umsatzstärkste Niederlassung und scheint der operative Hauptsitz zu sein. Der Konzern ist gemäss eigener Webseite in 100 Ländern tätig. Der Konzern erzielte 2023 einen Umsatz von über 50 Milliarden US Dollar und beschäftigt weltweit ca. 18’000 Mitarbeitende.

Auf ihrer Website rühmt sich LDC damit, immer verantwortungsvoll zu handeln. © Timon Schneider

Zwischen 2019 und 2023 bezog LDC über seine Tochterfirma Louis Dreyfus Co. India Private Ltd. rund 1’300 Zucker-Lieferungen aus dem Bundesstaat Maharashtra im Wert von mindestens 393 Millionen US Dollar. Es ist möglich, dass die Zahlen in Tat und Wahrheit noch deutlich höher liegen, da die meisten Zucker-Lieferungen aus Indien an Louis Dreyfus in der von uns herangezogenen Handelsdatenbank nicht einem Bundesstaat zugewiesen werden können.

Indischer Bundesstaat Zucker-Lieferungen an LDC
Maharashtra 1’369
Uttar Pradesh 461
Karnataka 613
Bihar 21
Tamil Nadu 5
Unbekannt 3’877
Total 6’347

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Louis Dreyfus verwickelt in Skandal um Nachhaltigkeitszertifikat

Wie Recherchen der New York Times zeigten, waren die oben beschriebenen Probleme auch auf Zuckerrohrplantagen in Maharashtra verbreitet, die den Zucker an Zuckermühlen lieferten, die mit dem Nachhaltigkeitszertifikat «Bonsucro» ausgezeichnet waren. Solche brancheneigenen Zertifikate sind immer wieder in den Schlagzeilen, weil sie nicht halten, was sie versprechen – so beispielsweise auch bei Goldraffinerien oder Schmuckherstellern.

Eine Untersuchung der New York Times deckt auf, wie Nachhaltigkeitssiegel in der Zuckerindustrie die schlimmsten Missstände verschleiern – darunter Gebärmutterentfernungen bei Arbeiterinnen auf Indiens Zuckerrohrfeldern.

Sowohl die Dalmia-Zuckermühle, die bereits von Bonsucro zertifiziert war, als auch die NSL-Zuckermühle, die im Zertifizierungsprozess war, konnte die New York Times eindeutig mit Schuldknechtschaft, Kinderarbeit, Kinderheirat und Gebärmutterentfernungen in Verbindung bringen. Pikant: Zu den beiden Zuckerproduzenten, denen diese Mühlen gehören, hatte zumindest in der Vergangenheit auch die Louis Dreyfus Company eine Geschäftsbeziehung: So handelte LDC in den Jahren 2019 und 2020 mit über 80 Lieferungen Zucker vom problematischen Zuckerproduzenten Dalmia Bharat Sugar und 2020 mit 29 Lieferungen des problematischen Zuckerproduzenten NSL Sugars.

Männer bei der Arbeit in einer Zuckerrohrmühle in Uttar Pradesh. © Yogendra Singh

Darum braucht es in der Schweiz ein Konzernverantwortungsgesetz

Dieser Fall zeigt einmal mehr, weshalb es in der Schweiz die neue Konzernverantwortungsinitiative braucht, die Anfang 2025 lanciert wurde. Heute kann ein Konzern wie die Louis Dreyfus Company jahrelang Zucker aus zwangsarbeitsähnlicher Produktion handeln, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Und dies, obwohl die Probleme in der Branche seit Jahren bekannt sind. Die Konzernverantwortungsinitiative sorgt dafür, dass Rohstoffhandelskonzerne wie LDC nicht länger die Augen vor diesen Problemen verschliessen und dafür geradestehen, wenn sie zu Menschenrechtsverletzungen oder Umweltzerstörung beitragen.

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Mehr Informationen:

Artikel der Tages-Anzeiger: «Schweizer Rohstoffriese bezog Zucker aus zweifelhaften indischen Plantagen» vom 03.03.2025

Artikel der Aargauer Zeitung: «Pepsi und Coca-Cola kaufen problematischen Zucker – une ein Schweizer Rohstoff-gigant mischt mit» vom 03.03.2025

Artikel der New York Times: «Sugarcane’s Hidden Toll: Women Pushed Into Hysterectomies» vom 25.03.2024 (auf Englisch)

Bericht der New York Times: «Child Labor and Debt Slavery on India’s Sugar Plantations» vom 11.10.2024 (auf Englisch)

Bericht im Auftrag von Coca-Cola: «Study on Sugar Supply Chain Issues» vom 02.2019 (auf Englisch)

Bericht von Oxfam: «Child Labor in India’s Sugar Industry» vom 02.2020 (auf Englisch)

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