Konzernverantwortung: Bundesrat spielt auf Zeit
Der Bundesrat hat heute die Vernehmlassung über eine Anpassung der Nachhaltigkeitsberichterstattungspflichten von Schweizer Unternehmen eröffnet. Damit hinkt die Schweiz beim Thema Konzernverantwortung der internationalen Entwicklung weiter hinterher. Die EU hat schon vor Jahren erkannt, dass reine Berichterstattungspflichten das Problem nicht lösen und deshalb vor einem Monat eine griffige Konzernverantwortungsrichtlinie (CSDDD) verabschiedet.
Der Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative ist 2022 in Kraft getreten und verpflichtet dieses Jahr zum ersten Mal Schweizer Unternehmen ab 500 Mitarbeitenden über ihre Risiken im Bereich Menschenrechte und Umweltbelange zu berichten. Die EU kennt solche Nachhaltigkeitsberichterstattungspflichten bereits seit 2014.
Berichterstattung löst das Problem nicht
2020 kam die EU-Kommission aufgrund einer Evaluation zum Schluss, dass die Berichterstattungspflichten alleine «nicht zu den notwendigen Verhaltensänderungen geführt haben». Auch eine Studie der Freien Universität Berlin stellte 2019 fest, dass Berichtspflichten kein geeignetes Instrument seien, um gegen die Missachtung von Menschenrechten oder anderen gesellschaftlichen Verantwortungen vorzugehen. Aus diesem Grund hat die EU die Konzernverantwortungsrichtlinie (CSDDD) erarbeitet, die am 24. Mai 2024 final verabschiedet wurde und umfassende Sorgfaltspflichten für Unternehmen sowie griffige Sanktionsmassnahmen vorsieht.
Schweiz wird international immer mehr abgehängt
Gleichzeitig hat die EU bereits 2022 ihre Berichterstattungspflichten mit der Verabschiedung der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) weiterentwickelt. Die Berichterstattungspflicht gemäss CSRD schliesst an die Sorgfaltspflichten gemäss CSDDD an, die EU legt damit kohärente Anforderungen an Unternehmen zur Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards vor.
Der Bundesrat schlägt heute hingegen einzig eine Anpassung der Berichterstattungspflichten vor, anstatt wie die EU die Konzerne effektiv in die Verantwortung zu nehmen. Damit verpasst der Bundesrat einmal mehr den Anschluss an die internationale Entwicklung.
Dominique de Buman, Vorstandsmitglied der Koalition für Konzernverantwortung und Alt-Nationalrat (Die Mitte/FR), sagt: «Das ist umso stossender, weil der Bundesrat im Abstimmungskampf über die Konzernverantwortungsinitiative versprach, „international abgestimmt“ vorgehen zu wollen. Nun spielt der Bundesrat auf Zeit. Die Schweiz droht so zum einzigen Land in Europa ohne Konzernverantwortung zu werden.»
Politik und Wirtschaft fordern raschen Nachvollzug
Der schleppende Nachvollzug im Bereich Sorgfaltspflichten droht für die Wirtschaft viel Bürokratie und Rechtsunsicherheit zu verursachen, kritisierten in den letzten Monaten mehrere Wirtschaftsverbände in den Medien (La Liberté, Blick).
Auch aus der Politik steigt der Druck: Mit dem «Appell für Konzernverantwortung im internationalen Gleichschritt» traten Anfang Juni über 150 bürgerliche Politiker:innen an die Öffentlichkeit, die den Bundesrat dazu auffordern, nun rasch auch in der Schweiz ein griffiges Konzernverantwortungsgesetz einzuführen.
Unterschriftensammlung startet im Januar 2025
Wie die Koalition für Konzernverantwortung bereits angekündigt hat, bereitet sie aktuell die Lancierung einer neuen Konzernverantwortungsinitiative vor, um zu verhindern, dass die Schweiz beim Thema Konzernverantwortung abgehängt wird. Die Unterschriftensammlung soll im Januar 2025 starten.
Gegenvorschlag bleibt wirkungslos
Bei der Verabschiedung des Gegenvorschlags zur Konzernverantwortungsinitiative im Jahr 2020 war bereits klar, dass sich die internationale Entwicklung in Richtung verbindlicher Sorgfaltspflichten für Unternehmen bewegt. Der Bundesrat hat trotzdem entschieden, vornehmlich auf Berichterstattungspflichten zu setzen und diese mit isolierten Sorgfaltspflichten in den Bereichen Kinderarbeit und Konfliktmineralien ergänzt, deren Verletzung allerdings nicht sanktioniert werden kann. Mit diesem Alibi-Gegenvorschlag, der in einem ungewöhnlichen Manöver im letzten Moment vom Bundesrat in den parlamentarischen Prozess eingebracht wurde, wurde ein griffiger Gegenvorschlag verhindert.
Einige der dieses Jahr zum ersten Mal nach neuem Gesetz verabschiedeten Nachhaltigkeitsberichte zeigen exemplarisch, dass der Gegenvorschlag an den bestehenden Problemen nichts ändert: So behauptet Glencore in seinem Nachhaltigkeitsbericht auch dieses Jahr wieder, zu keinen «severe human rights impacts» beigetragen zu haben. Zahlreiche Recherchen belegen das Gegenteil.
Auch die Sorgfaltspflichten in den Bereichen Kinderarbeit und Konfliktmineralien dürften aufgrund zahlreicher Schlupflöcher sowie fehlender Sanktionsmöglichkeiten wirkungslos bleiben: So sind die Goldraffinerien Metalor und MKS Pamp von den Sorgfaltspflichten befreit, weil sie angeben, OECD-Standards zu befolgen. Die verschiedenen gravierenden Vorfälle in der Goldförderung, in die diese Raffinerien verwickelt sind (Yanaquihua, New Liberty), bleiben ohne Konsequenzen.
Dominique de Buman kommentiert: «Wir haben immer gesagt, dass Berichterstattungspflichten nur zu neuen Hochglanzbroschüren führen – nicht aber zur Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards. Es ist bedauerlich, dass der Bundesrat weiterhin nur auf dieses Instrument setzt.»