Berichterstattungspflichten bleiben ohne Wirkung
2024 mussten Konzerne in der Schweiz zum ersten Mal Nachhaltigkeitsberichte verfassen, wie es der 2022 in Kraft getretene Alibi-Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative verlangt. Eine Analyse der Berichte zeigt, dass verschiedene Grosskonzerne ihren Umgang mit Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden schönreden, statt die Probleme zu lösen.
Konzerne müssen heute nur berichten, statt handeln
Als sich 2019 im Parlament ein Kompromiss abzeichnete, um der Konzernverantwortungsinitiative einen griffigen Gegenvorschlag gegenüberzustellen, torpedierte der Bundesrat diesen Prozess mit einem Alibi-Gegenvorschlag, der sich auf Druck der Konzernlobby im Parlament durchsetzte.
Dieser verlangte für das Geschäftsjahr 2023 zum ersten Mal, dass Schweizer Konzerne ab 500 Mitarbeitenden Nachhaltigkeitsberichte erstellen. Darin sollen sie berichten, wie sie bei ihren Geschäften mit Sozial- und Arbeitnehmerbelangen, der Achtung der Menschenrechte, der Bekämpfung von Korruption und CO2-Zielen umgehen.
Die Konzernlobby stellt es seither so dar, als ob es in der Schweiz bereits ein Konzernverantwortungsgesetz gäbe. «Berichterstattungspflichten» sind aber keine «Handlungspflichten»: Ein Konzern muss unter dem Gegenvorschlag nur darüber berichten, ob er ein Zwangsarbeitsrisiko bei seinen Geschäften hat, er muss aber keine Massnahmen ergreifen, um die Zwangsarbeit tatsächlich zu verhindern. Es ist kaum überraschend, dass solche Pflichten allein nicht zu den notwendigen Verhaltensänderungen führen, wie auch die folgenden Beispiele exemplarisch zeigen.
Studien zeigen, dass Berichterstattungspflichten wirkungslos sind
Die EU kennt seit 2014 Nachhaltigkeitsberichterstattung. 2019 kam eine Studie der School of Business and Economics an der Freien Universität Berlin zum Schluss, dass die Nachhaltigkeitsberichterstattungspflichten dazu führen kann, dass Unternehmen ihren Umgang mit Menschenrechten und Umwelt schönreden ohne tatsächliche Verbesserungen zu erreichen.
2020 kam auch die EU-Kommission zum Schluss, dass die Berichterstattungspflichten alleine « nicht zu den notwendigen Verhaltensänderungen geführt haben ». Aus diesem Grund wurde die neue europäische Konzernverantwortungsrichtlinie CSDDD erarbeitet, die am 24. Mai 2024 final verabschiedet wurde.
Sorgfaltspflichten ohne Sanktionen
Zusätzlich zu den Berichterstattungspflichten wurden im Alibi-Gegenvorschlag für Schweizer Konzerne in den Bereichen Kinderarbeit und für einige Konfliktmineralien Sorgfaltspflichten – also Handlungspflichten – erlassen. Dies bedeutet, dass die Konzerne in der Theorie Massnahmen ergreifen müssten, um Kinderarbeit zu verhindern und in ihren Geschäften mit Konfliktmineralien Risiken für Menschenrechtsverletzungen abzuwenden oder zu minimieren. Doch wenn sie die Pflichten nicht einhalten, drohen keinerlei Sanktionen.
Beispiele zeigen, dass die Berichte wertlos sind
Glencore
Wenn man einen Blick in die neu erschienenen Nachhaltigkeitsberichte von Schweizer Konzernen wirft, fallen deren Mängel schnell ins Auge. So schreibt beispielsweise Glencore im Bericht 2023, weder grössere Umweltvorfälle festgestellt noch schwere Menschenrechtsverletzungen verursacht oder zu ihnen beigetragen zu haben. Das ist insbesondere für die Menschen, die rund um eine Glencore-Mine leben, ein Hohn. Beispielsweise berichteten im Herbst 2023 verschiedene Medien, dass Glencore in Peru mit der Mine Antapaccay eine massive Umweltverschmutzung verursacht.
Lindt & Sprüngli
Lindt & Sprüngli beschreibt im Nachhaltigkeitsbericht 2023 auf 155 Seiten, wie viel der Konzern gegen Kinderarbeit und andere Probleme in der Kakaoproduktion unternehme. Lindt & Sprüngli wolle Kinderarbeit «wann immer möglich» vermeiden.
Doch Reporter der SRF-Rundschau waren 2023 in Ghana und stellten auf zahlreichen Farmen, die Kakao an Lindt & Sprüngli liefern, Kinderarbeit fest. Die SRF-Recherche deckte zudem auf, dass sich Lindt & Sprüngli gar nicht selber um sein viel zitiertes Programm gegen Kinderarbeit kümmert, sondern dieses an einen Geschäftspartner – den verschwiegenen Genfer Rohstoffmulti ECOM – ausgelagert hat.
Ein neuer Dokumentarfilm stellt das Kinderarbeits-Programm von Lindt & Sprüngli weiter in Frage: Listen mit Namen von Kindern, die beweisen sollen, dass Kinder heute in die Schule können, statt auf den Farmen zu helfen, scheinen nicht der Wahrheit zu entsprechen.
Metalor
Im Bericht der Goldraffinerie Metalor steht, man habe nur Zulieferer, die die Menschenrechte einhalten. Und dass dies auch vor Ort überprüft werde. Doch im Mai 2023 sind bei einem schweren Brand in einer Zuliefermine im peruanischen Yanaquihua 27 Minenarbeiter ums Leben gekommen. Wie eine Untersuchung zeigte, wurden in der Mine elementare Sicherheitsstandards nicht eingehalten. So waren in der Mine die Fluchtwege und Notausgänge nicht korrekt signalisiert, die Schutzräume waren mangelhaft ausgerüstet und es fehlte ein adäquates Warnsystem.
Die Beispiele zeigen exemplarisch, dass die Berichterstattungspflichten alleine nicht viel bringen, wie bereits von Anfang an von der Zivilgesellschaft kritisiert wird. Es ist höchste Zeit, dass die Schweiz nun auch ein griffiges Konzernverantwortungsgesetz erlässt, wie es viele europäischen Nachbarländer bereits getan haben. Deshalb braucht es die neue Konzernverantwortungsinitiative.